Zumutungen…

Ich gehe mit Tiffi nach 8 Stunden im Auto und auf der Fähre in der Nähe von Göteburg eine Runde Gassi. Nach einem wunderschönen Weg an einem Fluss, unterhalb einer mittelalterlichen Festung müssen wir an einer großen Straße zurück. Man kann nur rechts laufen. Um Tiffi vor den Autos zu schützen, lasse ich sie auf meiner rechten Seite gehen. Sie hat das erst vor kurzem gelernt und es verunsichert sie. Zweimal bleibt sie stehen und versucht das Halsband abzuschütteln. Und da trifft mich dieser Gedanke. Mute ich meinem Hund vielleicht zu viel zu?

Gerade in letzter Zeit habe ich viel Lob bekommen. Man hat mir gesagt, dass Tiffi sich toll entwickelt hat und viel offener geworden ist. Von Anfang an war es mir wichtig, dass sie viel erlebt und bei vielen Sachen dabei ist. In der Arbeit ist dies der Notwendigkeit geschuldet, ansonsten aber eher weil ich es so will.

In den letzten Wochen haben sich die Erlebnisse und Abenteuer gehäuft. Tiffi war mit auf dem Betriebsausflug, ist mit der Seilbahn gefahren, war mit auf der Alm und ist brav wieder runter gewandert. Kurz zuvor sechs Tage Mittelaltermarkt. Dann zwei Tage bei meiner Mutter, weil ich ein Arbeitswochende begleitet habe. Dann drei Tage im Familienhotel, mit den Kindern auf dem Spielplatz, mit der Spielplatzfähre über den Teich. Am Mittwoch früh zurück und Mittags gleich wieder ins Auto. Fast 1000 km an die Ostsee. Am nächsten Tag Spaziergang im Hafen. Ein Tag später einen Bekannten in der Nähe von Bremen besuchen. Heute dann 7 Stunden im Auto und eine Stunde auf der Fähre. Ein fremdes Hotelzimmer, fremde Gassistrecken. Das einzig Vertraute ihre Schlafmatte, ihr Kuscheltier, der Mann und ich.

Ich sehe, dass sie müde ist und eine Pause braucht. Ich bin es ja selber. Morgen und übermorgen werden wir hier in der Gegend bleiben und uns dann nochmal einige ruhige Tage an der Ostsee gönnen.

Aber warum mute ich meinem Hund so viel zu. Tiffi ist ein rumänischer Straßenhund. Tiffi ist ein Angsthund. Wäre es nicht besser ihr ein ruhiges Leben mit möglichst wenig neuen Reizen zu bieten? Sie vor Stress zu schützen?

Nein! Tiffi ist von Grund auf Neugierig und kommt mit Veränderungen und ungewohnten Situationen erstaunlich gut zurecht. Jeder Grenzgang hat sie bisher weiter gebracht, wenn ich bereit war Auch die Rückschläge einzustecken und mit ihr durchzustehen. Der vermittelnde Verein selbst sagte damals, als es zwischen der Pflegestelle und mir zum kurzen Streit um die Hündin kam, dass sie sich einen Platz wünschen an dem Tiffi gefördert und gefordert wird und das sie glauben, dass ich ihr das bieten kann. Auch meine Hundetrainerin bestärkt mich immer wieder darin, auch neue Sachen mit ihr zu probieren. Allerdings in einem etwas geringeren Maße, als ich es zum Teil tue. Ich glaube, dass ich meinen Hund kenne und erkenne, wann es ihr zu viel wird. Und vielleicht traf mich genau deshalb heute Abend der Gedanke, dass ich ihr zu viel zumute, weil ich gespürt habe, dass wir eine Grenze erreicht haben. Der Tag, die Woche hat sie erschöpft und ich werde die nächsten Tage mehr darauf achten, sie etwas zu schonen und ihr nur die notwendigen Abenteuer zuzumuten.

Wir werden sehen, wie gut mir das in einem fremden Land, in einer fremden Umgebung gelingen wird.

Gestörter Hund und gestörte Menschin

Hallo Freunde,

wie ihr ja schon wisst sind wir mit Tiffi an der Ostsee. Das Ferienhaus meiner Eltern, die Herzheimat der Familie soll mir und dem Mann die Möglichkeit geben uns von unseren stressigen Jobs zu erholen.

Nachdem wir uns heute ein ausgiebiges Frühstück und einen wunderbar faulen Vormittag gönnten, machten wir einen kleinen Ausflug nach Heiligenhafen. Mit Tiffi schlenderten wir an den Schiffen vorbei, guckten ein bisschen und entschlossen uns schließlich an einer kleinen Bude leckeren Backfisch zu essen.

Kurz nachdem der Mann meinen Teller vor mir abgestellt hatte, sah ich aus dem Augenwinkel, dass Tiffi, die bisher zwischen uns, leicht nach hinten versetzt stand, rückwärts laufend an meinem rechten Bein auftauchte. Ich drehte mich um und sah einen Beagle, der sich ihr schnurstracks näherte. Die Besitzerin zubbelte zwar an der Leine, was aber den Hund wenig zu interessieren schien. Nun sah es für mich so aus als ob die Dame ihrem Hund nachgeben würde und die Leine locker lassen. Nach einem Hilfe suchendem Blick von Tiffi nahm ich Blickkontakt zur Beaglebesitzerin auf und bat in ruhigem und freundlichem Ton: „Können Sie ihn bitte wegnehmen? Sie hat Angst.“ Ein patziges „Ich zieh doch schon!“ war die Antwort. Und tatsächlich verlor der Beagle nun das Interesse und beide gingen weiter. Und damit hätte es gut sein können. Ich hätte mir keine weiteren Gedanken über den Vorfall gemacht. Hätte ich nicht, als ich mich gerade wieder meinem Teller zugewandt ein halblautes: „Dann geh halt mit deinem gestörten Köter nicht raus!“ gehört.

Äh… wie bitte? Meine Hündin saß ganz brav neben mir. Auch als der Beagle sie beschnüffelte reagierte sie für ihre Verhältnisse relativ entspannt. Sie schrie nicht, warf sich nicht auf den Boden, riss mich nicht von meinem Stuhl, warf den Tisch nicht um… Ist mein Hundetier jetzt schon gestört, weil sie sich in einer für sie eh schon aufregenden Situation nicht von Jedem Hund beschnüffeln lassen möchte, oder weil ich so dreist bin um Unterlassung eines bestimmten Verhaltens zu bitten?

Natürlich saß ich ganz brav da, aß mein Essen und verfluchte die Frau beim Mann, als diese ausser Hörweite war.

Als wir wieder Zuhause waren, entschied ich mit Tiffi noch eine kleine Runde am Strand entlang zu gehen.

Dort traf ich eine Frau mit zwei Hunden. Sie leinte ganz brav an, als ich vorbei ging und fragte mich, ob wir ihren Großen und meine Hündin vielleicht mal zusammen lassen wollten. Ich erklärte wie üblich, dass das nicht ginge, weil Tiffi Angst habe. Die Frau war recht hartnäckig und erklärte, dass ihrer ganz lieb sei und sie ihn sofort abrufen könne, wenn sie merkte, dass Tiffi sich fürchtet. Ich lehnte ab. Es hat keinen Sinn, weil Tiffi sich auf jeden Fall fürchten würde, sagte ich. Das war aber eine Lüge. Ich kenne meine Hündin und weiß, dass es durchaus hätte sein können, dass sie sich mit dem Rüden versteht. Nur leider hat meine Mutter vor kurzem rausgefunden, dass mein Vater seit Ostern eine Affäre hatte und diese Frau wohnt in der Herzheimat und hat einen oder mehrere Hunde. Und das war der wahre Grund, warum ich keinen Kontakt zwischen den Hunden wollte. Ich fürchtete, dass ich möglicherweise gerade mit der Affärenfrau spreche und wollte deshalb einfach nur weg von ihr.

Und nun fürchte ich, dass die gestörte Menschin mit ihrem gestörten Hund die nächsten 1,5 Wochen jeder weiblichen Person mit Hund entweder ausweicht oder ihr mit ausgeprägtem Misstrauen begegnet.

Tiffany’s Reisen

Ein ganz normaler Herbstmorgen, irgendwo in Oberbayern. Eine rumänische Straßenhündin erwacht. Sie tut was jeder rücksichtsvolle Hund tun würde, der merkt, dass seine Menschin noch schläft und der sich zugleich nicht in den zweiten Stock traut, wo das Schlafzimmer der Menschlinge liegt… sie gibt ausgiebige Quietsch- und Grummelgeräusche von sich und legt kleine Stepptanzeinlagen aufs Parkett sobald sie vermeint von Oben ein Geräusch zu hören… auch dann, wenn es sich dabei nur um das Gähnen der Katze des Hauses handelt.

Schließlich betritt die Menschin die Bühne. Sie schlurft die Treppe hinunter, tätschelt der Hündin den Kopf und murmelt: „Wusste ich doch, dass ich mir keinen Wecker stellen muss!“

Wenige Stunde später sitzt die Hündin auf der Rückbank des Autos und atmet der Menschin aufgeregt in Ohr und Nacken. Sie weiß nicht, wo es hingeht, sie weiß nur, dass es anders ist als sonst. Das Auto fährt immer öfter nach oben.

In den engen Kurven fällt die Hündin manchmal nach links oder rechts um. Sie weiß, dass sie das verhindern könnte, wenn sie sich hinlegen würde. Aber dann könnte sie nicht mehr aus den Fenstern schauen. Und die Landschaft ist doch so wahnsinnig interessant. Da sind Berge und Wälder und die mag die Hündin sehr gerne.

Schließlich hält das Auto an. Die Hündin darf aussteigen. Sie muss ihren ganzen Mut zusammen nehmen um durch eine sehr gefährliche automatische Schiebetür zu gelangen. Hinter der Tür warten Menschen die sie kennt. Die Mutter ihrer Menschin, der Menschinenbruder, die Menschinenschwägerin und die Bruderkinder. Alle wollen sie streicheln. Die Hündin ist ein bisschen unsicher. So viele Menschen auf einmal. Zugleich findet sie die Hände auf ihrem Fell und die viele Liebe ganz wunderbar. Nur die Menschinenschwägerin hat ein bisschen Angst vor ihr. Das findet die Hündin seltsam. Normalerweise hat sie Angst vor allen anderen. Das Jemand sich vor ihr fürchtet, das kennt sie nicht. Also gibt sie sich besonders viel Mühe, die Menschinenschwägerin von ihrer Freundlichkeit zu überzeugen. Niemand soll Angst vor der Hündin haben. Schließlich weiß sie, dass Angst haben nicht schön ist.

Es folgen Tage voller Abenteuer. Spaziergänge durch die Berge, Spielplatzbesuche mit den Kindern, eine Floßfahrt, Schlafen in einem Hotelzimmer…

Dann die Rückfahrt. Die Hündin fährt wieder nach Hause. Aber wieder ist alles anders als sonst. Zuhause bleibt sie nur eine halbe Stunde. Dann setzt der Menschenmann sie in sein Auto. Zusammen mit der Menschin und dem Menschenmann beginnt eine neue Reise. Sie dauert viele Stunden. Die Hündin darf zweimal aussteigen und an fremden Orten ihre Makierungen hinterlassen. Am Abend dann riecht sie schon das Meer. Der Menschenmann holt sie aus dem Auto und bringt sie ins Haus. Die Hündin war hier schonmal, dass weiß sie. Aber sie ist müde und ein bisschen überfordert mit so viel Herumreisen. Sie kuschelt sich auf ihre Decke und arbeitet intensiv an dem Markknochen, den die Menschin und der Menschenmann ihr mitgebracht haben. Das hilft den Stress abzubauen. Nach dem Knochen fühlt sie sich besser. Viele neue Abenteuer warten auf die Hündin. Aber erstmal muss sie sich ausruhen.